Christoph Hiltl hat sich dem Naturschutz verschrieben

Neue Presse – Samstag/Sonntag, 28./29. Januar 2023

Foto: Thomas Rephan
Im Landkreis Kronach unterhält er mit seiner Stiftung drei Projekte für den Artenschutz. Doch wer ist eigentlich der Mann aus München, der mittlerweile fast die Hälfte seiner Zeit im Frankenwald verbringt? 

KRONACH. Die Kronacher Stiftung „Lebensräume für Mensch und Natur“ feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Seit ihrer Gründung setzen sich die Verantwortlichen Petra Pohl und Christoph Hiltl für Naturschutzprojekte im Landkreis Kronach ein. Das Licht der Öffentlichkeit liegt dem Paar nicht. Doch ihm ist bewusst, dass man ab einer gewissen Größe einfach nicht mehr in aller Stille agieren kann. Christoph Hiltl gab nun erstmals in einem Interview mit dieser Zeitung Einblicke in die Beweggründe seiner Arbeit für den Artenschutz. 

Herr Hiltl, Sie kommen aus München. Wie kommt ein Münchner dazu, in Kronach eine Stiftung zu gründen?
Zunächst: Meine Frau kommt aus dem Landkreis Kronach. Ich selbst habe lange in einer großen Rechtsanwaltskanzlei in München gearbeitet. Ich hatte Mandanten in New York, London…–da kommt man sich wichtig vor. Mit 46 Jahren machte ich ein Sabbatical, nahm mir eine längere Auszeit. Unter anderem war ich in Santiago de Compostela. Ich wollte mein Leben ändern.

Was war der Anlass?
Ich habe gemerkt, dass Erfolg auch seinen Preis hat. Irgendwann waren die meisten Freunde nicht mehr da, weil ich keine Zeit für sie hatte. Auch für die Familie hatte ich einfach den Kopf nicht frei. 

Sie haben also Ihr Leben geändert?
Mit 51 Jahren habe ich den Absprung geschafft. Ab diesem Zeitpunkt habe ich alleine für mich als Rechtsanwalt gearbeitet – ohne Sekretärin, Mitarbeiter und ohne Website. Wer mich haben wollte, musste mich finden.

Und das klappte?
Ja. Sogar gut. Ich war ja spezialisiert in der Pharmaindustrie – habe von der Werbung bis hin zu Unternehmenskäufen alles gemacht. Einige Mandanten sind geblieben und haben mich gut beschäftigt. 

Wie kommt ein Jurist zum Naturschutz?
Meine Frau hat als Designerin – genau wie ich auch – gut verdient. Irgendwann sagten wir uns, dass wir auch etwas für die künftigen Generationen tun wollen. So entstand die Idee, eine Naturschutz-Stiftung zu gründen. Wir haben das mit unseren beiden Söhnen besprochen, weil eine solche Stiftung ja über unseren Tod hinaus bestehen soll. 

Das fanden sie okay?
Die fanden das von Anfang an toll. Sie sagten gleich, dass sie einspringen würden, wenn wir irgendwann einmal aus Altersgründen nicht mehr können. Dann machen die beiden das weiter. 

Sie haben in München gearbeitet – wie kamen Sie nach Kronach?
Das brauchte mehrere Anläufe. Zunächst haben wir zwei große Naturschutzorganisationen gefragt, ob wir nicht etwas zusammen machen könnten. Also von München aus. Eine hat gar nicht geantwortet. Die andere meinte, wir könnten ihr ja unser Geld geben. Das hatten wir uns aber nicht so vorgestellt.

Was hatten Sie sich denn vorgestellt?
Wir wollten selber aktiv werden. In Oberbayern gibt es tolle Moore im Alpenvorland. Wir haben zu den verantwortlichen Stellen Kontakt aufgenommen. Da wurde uns bedeutet: Sie sind hier überflüssig. Hier gibt es ausreichend Akteure. Wir haben schnell gemerkt, dass keiner auf uns gewartet hat. Also sagten wir uns, dass wir es in der Heimat meiner Frau, im Landkreis Kronach, versuchen. Das hatte meine Frau natürlich von Anfang an besser gefunden. 

Wie ging es weiter?
Wir haben bei der Ökologischen Bildungsstätte in Mitwitz und bei der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt nachgefragt – und wurden nett aufgenommen. Es hieß, wir könnten einsteigen in ein Projekt, bei dem es um Magerrasen am Kreuzberg geht. 

Ihr erstes Projekt…
Ja. Und jeder hat mir erzählt, dass es schwierig werden wird, Land dafür zu erwerben. Ich sollte mich darauf gefasst machen, dass es gar nichts wird. Vielleicht bin ich damals ein bisschen naiv da ran gegangen. 

Inwiefern? 
Im ersten halben Jahr kam ich gar nicht zurande. Ich musste so viel lernen. Früher habe ich Pharmazeuten und Mediziner gefragt, wie ein Medikament wirkt. Das habe ich mir so lange erklären lassen, bis ich es wiederum einem Richter erklären konnte. Beim Thema Naturschutz habe ich Christine Neubauer von der ÖBO anfangs jeden Tag angerufen und immer wieder nachgefragt. Ich wusste fachlich ja nichts. 

Was zum Beispiel?
Wie ist das mit dem Magerrasen? Wieso ist gerade der so artenreich? Ich habe gelernt, je unansehnlicher eine Wiese ist, desto mehr Arten gibt es darauf. Grüne Flächen sind dagegen eher artenarm. Das ist meiner Ansicht nach auch der Grund dafür, warum man auf dem Land dem Naturschutz oft sehr skeptisch gegenüber steht.

Weil?
Weil es hier einfach noch viel Natur gibt, jedenfalls optisch. Aber man muss einfach erkennen, dass man im Frankenwald jahrhundertelang von seinem Land gelebt hat. Da fällt es einem schwer, loszulassen. Der wirtschaftliche Wert des Landes steht für die Menschen im Vordergrund. Nicht die Natur. Das ist verständlich und muss man respektieren.

Wie lief Ihr Projekt an?
Es nahm Fahrt auf. Wir konnten entgegen der Prognosen viele Flächen erwerben oder langfristig pachten. Dabei war schnell klar: Wenn man den Leuten nichts anzubieten hat, wird man schnell wieder hinaus komplimentiert. Der Ton hier ist manchmal rau. Aber ich mag die Art der Leute. Das gefällt mir viel besser als das breitbeinige „Mia san mia“-Getue in Oberbayern. 

Wie haben die Menschen also auf Sie und Ihr Anliegen reagiert?
Da kommt jemand aus München, ein Rechtsanwalt, noch dazu mit Doktortitel, der dann fragt, ob die Menschen hier nicht ihr Land an eine Stiftung verkaufen möchten. Dass das erst einmal eine Abwehrreaktion provoziert, war eigentlich klar.

Eigentlich?
Ja, das musste ich auch lernen. Aber mit der Zeit haben wir zusammen gefunden. Es ist wohl schwer nachvollziehbar, dass wir keine kommerziellen Absichten hegen. Das ist bei vielen nicht auf der Festplatte verankert. 

Stattdessen?
…fragen sich die Leute, was dahinter steckt. Aber außer dem Naturschutz steckt nichts dahinter. Ich habe beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten eine Frau aus Erding kennengelernt, die dort ein Hospiz betreibt. Sie erzählte, dass bei fast allen Sterbenden die letzten Wünsche etwas mit Natur zu tun haben – noch einmal einen Vogel singen hören oder einen Schmetterling sehen. Mir wurde mal vorgeworfen, ich sollte mich mehr um Menschen als um die Natur kümmern. Das Beispiel aus dem Hospiz ist eigentlich die perfekte Entgegnung auf diesen Vorwurf. Denn wenn man sich um die Natur kümmert, tut man gleichzeitig etwas für die Menschen. 

Das war Ihr Plan?
Es gibt keinen Masterplan. Auch innerhalb der Projekte kann man nur auf Sicht fahren – inzwischen gibt es drei, das Beweidungsprojekt am Kreuzberg, die Fischbacher Weidevielfalt und das Dobertal. Alle haben sich in eine Richtung entwickelt, die wir am Anfang nicht auf dem Schirm hatten. 

Sie sprachen von Abwehrreaktionen…
Bei solchen Projekten gibt es anfangs immer Bedenken. Aber der Gegenwind, den ich zu Beginn erlebt habe, hat mich schon zum Nachdenken gebracht. Habe ich etwas falsch gemacht oder war es unvermeidlich? Ich kam zu dem Schluss, dass Vieles unvermeidlich war. Ich habe mir viele größere Naturschutzprojekte angeschaut –weltweit. Da war es oft dasselbe. Ein amerikanischer Politiker in den 60er-Jahren hat fünf Nationalparks eingerichtet. Er sagte, wenn man mit der Idee, einen Nationalpark zu machen, in eine Gegend geht, dann ist das für die lokale Bevölkerung das Ende der Welt. Sie ist strikt dagegen. Wenn der Nationalpark dann läuft, sagen alle, dass das die beste Idee überhaupt war. 

Es ist also überall der gleiche Reflex?
Es gibt wohl fast immer drei Phasen: Zuerst gibt es Abwehr, vor allem aus Angst vor dem Verlust der Heimat. Das habe ich am Anfang wirklich unterschätzt – einer meiner größten Fehler. Dann folgt das misstrauische Beäugen des Projekts. Und am Ende finden es fast alle gut. Das kann aber dauern… 

In welcher Phase sind Sie bei Ihrem dritten Projekt, dem Dobertal?
In Phase I. Hier gibt es ein zwölf Kilometer langes, unzerschnittenes Tal – 100 Hektar. 25 bis 30 davon wollen wir für den Naturschutz erwerben oder langfristig pachten. Nach einem Jahr haben wir schon zwölf Hektar. Wir haben auch hier zugesagt, dass Landwirte keinen wirtschaftlichen Schaden erleiden werden. Aber eines muss klar sein: Das Artensterben findet jetzt statt. Deshalb muss man auch jetzt etwas dagegen setzen. 

Sie waren nun schon zweimal beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten eingeladen wegen Ihres Engagements. Nimmt man das auch an anderer Stelle wahr?
Vom Bayerischen Naturschutzfonds, der unsere Projekte auch finanziell unterstützt, hören wir, dass sie qualitativ am oberen Ende dessen sind, was in Bayern im Bereich Naturschutz überhaupt stattfindet. Seit dem Volksbegehren für Artenvielfalt 2019 muss der Umweltminister einmal jährlich dem Landtag über den aktuellen Stand der Biotopverbunde in Bayern berichten. Da tauchte dann auch unser Projekt „Fischbacher Weidevielfalt“ auf – mit dem Prädikat: „So sollte es sein“.

Sind Sie darauf stolz?
Stolz ist der falsche Ausdruck. Man selber hat ja irgendwie keinen Überblick, wo man mit seinem Projekt steht. Wenn einem dann gezeigt wird, dass man das gut macht, dann ist das befriedigend. Vor allem, weil ich ja auch ein Quereinsteiger bin. 

Denken Sie, der Frankenwald muss sich ändern?
Er hat sich schon geändert – durch den Borkenkäfer. Das macht mich unruhig. Da ist vieles in Bewegung geraten, aber ich spüre keine gestaltende Hand, keine Idee. Stattdessen will man so weitermachen wie bisher, nur eben einfach mit anderen Baumarten. 

Was macht die Region für Sie aus?
Die vielen Naturschätze. Da wird der Frankenwald völlig unterschätzt. In der Fränkischen Schweiz dagegen ist es lange nicht so schön, aber das ist viel bekannter.

Wohin geht die Reise für Ihre Projekte?
Ich kann nicht sagen, wo das Ganze endet – wahrscheinlich bei meinen biologischen Grenzen. Ich bin jetzt 64 Jahre alt und weiß nicht, wie lange ich das noch machen kann. Aber momentan habe ich viel Spaß daran. 

Das Gespräch führte Bianca Hennings